David Steindl-Rast – Achtsamkeit des Herzens
Durch die Sinne Sinn finden
In Dankbarkeit können wir vom Erkennen der Gabe zum Anerkennen des Gebers und von da zum preisenden Bekennen der Gnade fortschreiten und so durch unsere Sinne Sinn finden.
Dies geschieht durch sehen, hören, riechen, tasten und schmecken.
Die Sehkraft trägt am weitesten, so können wir bei einem klaren Himmel die Sterne im Universum sehen. Das Hören ist schon begrenzter, aber auch dies kann über Kilometer hinweg hörbar sein, auch die Stille ist hörbar.
Riechen ist etwas was meist schon mehr Nähe braucht um den Geruch wahrzunehmen, aber auch dies kann über grosse Entfernungen möglich sein (Zuckerfabrik). Um etwas zu ertasten muss es in unmittelbarer Nähe sein. Tasten funktioniert mit unserem ganzen Körper der überall Tastorgane hat. Schmecken ist dann noch intimer, da das geschmeckte in uns aufgenommen werden muss.
Dies gipfelt im Abendmahl.
Dankbarkeit beginnt im Bereich der Sinne.
Dankbarkeit aber beginnt von selbst im Bereich des Sinnlichen, kann zielstrebig, geübt werden und führt uns Schritt für Schritt zu immer tieferer Einsicht in den Sinn des Lebens.
Immer wieder müssen wir uns daran erinnern, das es das Ziel menschlichen Strebens ist , Sinn zu finden.
Sinn ist Stille. Es erfüllt sich, indem es Gestalt annimmt; es nimmt Gestalt an, indem es zum Wort wird. Aber Sinn als solcher ist Stille. Und „Worte nachdem sie gesprochen, reichen in das Schweigen hinein“.
Und wenn Ihnen in einem blitzartigen erleuchteten Augenblick klar geworden ist, dass alles Sinn hat, sobald man das rationale Denken zurücklässt, so werden Sie auch verstehen, weshalb manche Männer und Frauen ihr ganzes Leben diesem Paradox widmen. Was sie suchen ist:
…nicht der gesteigerte Augenblick, losgelöst, frei von Gewesenem und Künftigem, sondern das ganze Leben, glühend in jedem Augenblick.
Das Begehren ist in der Zeit verstrickt; es sehnt sich nach der Vergangenheit und sorgt sich um die Zukunft. Liebe, die über das Begehren hinauswächst, ist „Befreiung vom Künftigen wie vom Vergangenen“. Was übrig bleib, ist das Jetzt, in dem „Vergangenes und Zukunft vereint sind“, der ruhende Punkt.
Dazu ist die Stille nötig. Dazu brauchen wir die Unterstützung anderer, die dasselbe Ziel verfolgen.
Klösterliches Alleinsein muss vom Miteinander getragen werden.
So offenbart sich der Sinn, nach dem wir im Leben suchen, sobald wir den Versuch aufgeben ihn zu fassen, und anfangen, auf ihn zu horchen. Wissen versucht zu erfassen, Weisheit horcht.
Um horchen zu können muss man still sein.
Jedermann weiß, das man seine Gebete verrichten kann, ohne wirklich gebetet zu haben. Und wenn wir uns fragen: „was ist das denn, das Gebete zum Gebet macht?“, so ist die Antwort: innere Sammlung, Achtsamkeit. Wenn wir bei der Sache sind, dann beten wir wirklich.
Und damit wird alles zum Gebet, zur Feier. Alles wird zur Feier, wenn wir lernen, jedes Ding für sich zu betrachten, eins nach dem anderen, Augenblick für Augenblick, damit wir ihm dankbare Beachtung schenken können.
Unser Sinne als Weg zum Sinn.
Einmal liest ein Mönch mit gesammelter Aufmerksamkeit die Worte der heiligen Schrift, ein andermal mit der selben Konzentration die Zeichen der Maserung im Holz, mit dem er arbeitet, oder die Zeichen der Zeit in der er lebt. Ein und dieselbe innere Haltung Kennzeichen das „ Lesen“ in all diesen Bereichen. Wer die Zeichen der Zeit nicht lesen kann oder die Schrift der Eisblumen an der Fensterscheibe, der liest vielleicht die Buchstaben in der Bibel, bleibt aber doch geistlicher Analphabet.